Émile Coué (1857 – 1926), französischer Apotheker und Psychologe, stellte zunehmend fest, dass die Worte, die er aussprach, während er einem Patienten ein Medikament überreichte, einen Einfluss auf die Form seiner Genesung hatten. Heißt, wenn der Patient davon ausgeht, dass genau dieses Medikament eine sofortige Linderung seines Problems mit sich bringen wird und es folglich in dieser Annahme einnimmt, dann tritt dies ein.
Coués Beobachtungen führten ihn dazu, sich intensiver mit gezielter Suggestion und Autosuggestion zu befassen. Seine schriftliche Abhandlung der Selbstbemeisterung durch bewusste Autosuggestion ebnete den Weg für einen neuen Ansatz, womit er seiner Zeit für Aufruhr sorgte – das Unmögliche rückte plötzlich in die Nähe des Möglichen.
Auto, griechisch selbst, und suggerere, lateinisch eingeben, einreden, formen den Begriff der Autosuggestion, das, was selbst eingeredet wird oder eine Person sich selbst einredet. Im Alltag begegnet dem Menschen die Suggestion in Form von Werbung. Modernes Marketing arbeitet mit gezielten (auto)suggestiven Techniken, um potentielle Kunden zu generieren. Rhythmische Slogans prägen sich ein und bleiben im Gedächtnis, z.B. Nike – just do it oder Ikea – wohnst du noch oder lebst du schon.
Eine subtilere Form der permanenten Autosuggestion findet sich in Traditionen und Glaubenssätzen, die teilweise über Generationen hinweg weitergegeben werden. Sie beeinflussen den Menschen bewusst oder unbewusst in allem, was er tut. Unter der Annahme, dass alle Montage zum Scheitern verurteilt sind, weil Eltern, Großeltern etc. dies auch schon immer so sagten, wird der Wochenstart unter diesem Glaubenssatz stehen und der Montag zum Scheitern verurteilt sein – so lange, bis der Glaubenssatz umgeschrieben ist.
Émile Coué unterscheidet an dieser Stelle zwischen einem bewussten und unbewussten Teil des Ichs. Beide beeinflussen auf ihre Weise das Individuum, wenn auch das Unbewusste eher im Verborgenen bleibt. Er nennt den Nachtwanderer als Beispiel, der sich am nächsten Tag nicht mehr an seine nächtlichen Spaziergänge erinnern kann (15).
„Vergleichen wir nun das Bewusste und Unbewusste miteinander, so stellen wir fest, dass das Bewusste häufig nur ein […] unzuverlässiges Gedächtnis hat, während das Unbewusste über ein unfehlbares Gedächtnis verfügt, das ausnahmslos alle Ereignisse unseres Lebens registriert.“ (16f.)
Körperfunktionen wie die Atmung oder Verdauung laufen automatisch im Unbewussten ab. Kein Mensch denkt jede Sekunde daran, zu atmen oder erinnert sich daran, das Herz aktiv schlagen zu lassen.
Coué unterscheidet zwischen „Wille“ und „Vorstellungskraft“ und führt das Beispiel zweier Bretter an, die jeweils eine verschiedene Breite aufweisen und über einen Graben in luftiger Höhe führen. Gedanklich ist es vorstellbar, diesen Graben leichtfüßig auf einem Brett, das 2 Meter Breite hat, zu überqueren. Sobald dieses breite Brett gegen ein Brett mit nur 25 cm ausgetauscht wird, ändert sich das. Denn egal wie stark der Wille ist, den Graben zu überqueren, wenn wir uns vorstellen, dass wir bei nur 25 cm Breite des Brettes stürzen, dann gelangen wir trotz Willens nicht über den Abgrund (20f.) Die Vorstellung siegt. Coué nennt als weiteres Beispiel einen Trinker, der aufhören will zu trinken, es aber nicht schafft und dennoch betont, er könne einfach nicht damit aufhören – dies sei wahr, so Coué (22/23).
Demnach existiert die Möglichkeit zur Lenkung der Vorstellungskraft, denn sie ist beeinflusst von unseren Ängsten – an dieser Stelle greift die Autosuggestion (29). Die Vorstellung, dass es möglich ist, die Vorstellungskraft zu lenken, ist eine der Grundvoraussetzungen zur Lenkung: „Das Mittel ist tatsächlich ganz einfach, wir wenden es bereits unser Leben lang, seit unserer Geburt unbewusst an.“ (29)
Nun: von unbewusst auf bewusst umstellen, wie geht das? Coué nennt drei Faktoren, die sich jeder, der diese Methode anwenden will, vergegenwärtigen soll:
Was möchte ich ändern?
Was ist das Ziel?
Gezielte und tägliche Wiederholung dessen, was eintreten soll?
Bei täglicher Wiederholung und unter Ausschluss der Personengruppen, bei denen Autosuggestion nicht funktionieren wird, verwirklicht sich das Ziel Stück für Stück (29).
Als Beispiel hier nochmals tradierte Werte: Traditionen und Glaubenssätze werden über Generationen weitergegeben und gelebt, auf diese Weise bestehen die Grenzen jeweils im Rahmen der Tradition, des Glaubenssatzes, in dem sich der Mensch bewegt. Sobald diese erkannt und aufgelöst bzw. umformuliert werden, besteht die sofortige Möglichkeit einer neuen Wahrnehmung, die sich Stück für Stück im Leben integrieren wird.
Wie sehr die Vorstellung unser Dasein beeinflusst, zeigt sich auch darin, wie uns Aufgaben gelingen oder nicht: wenn wir daran glauben, dass es möglich ist, dass Schmerzen vorüber gehen, dass eine Gesundung möglich ist, wird dies auch so sein (30). Daraus resultiert die Selbstverantwortung des Wohlbefindens durch Gedanken eines jeden Menschen (30).
Coué formuliert dies folgendermaßen:
„Auch auf die Gefahr hin für verrückt gehalten zu werden, behaupte ich: die meisten Menschen sind nur deshalb seelisch und körperlich krank, weil sie es sich vorstellen. Manche können sich nicht bewegen, obwohl keine organische Ursache für eine Lähmung vorliegt, und dass nur, weil sie sich vorstellen, gelähmt zu sein“ (31).
Die Durchführung der Autosuggestion muss immer ohne Willenskraft stattfinden, dann siegt die Vorstellung (32), denn die Kraft der Autosuggestion kann in beide Richtungen wirken und ist eine „angeborene Naturkraft“ (33).
Zur Vorbereitung auf eine Autosuggestion, ist es hilfreich, verschiedene Versuche durchzuführen, die die Wirksamkeit zeigen und den Einstieg erleichtern. Zum Beispiel: Strecken Sie Ihre Arme vor sich aus und schließen Sie die Augen. Stellen Sie sich vor, dass Sie einen luftgefüllten Ballon am rechten Handgelenk haben, während Sie am linken Handgelenk einen Zementblock hängen haben. Stellen Sie sich das vor und öffnen Sie nach einer gewissen Zeit die Augen – was ist passiert? Sind Ihre Arme noch beide parallel vor Ihrem Körper? Weitere Selbstversuche finden sich in Coués Werk (35-46).
Sobald die Versuche funktionieren, starten Sie mit der Formulierung Ihrer Ziele. Sprechen Sie monoton und einschläfernd und führen Sie die Übungen nach dem Aufstehen und vor dem zu Bettgehen durch. Wiederholen Sie das Gesagte bis zu 20-mal. Hierzu finden Sie auch Videos, z.B. >> hier. Bei jeder Wiederholung etabliert sich Ihr Ziel zunehmenden und Sie spüren Stück für Stück eine Veränderung.
Das Unmögliche ist möglich: Traditionen und Glaubenssätze sind ein Teil dessen, was den Menschen begleitet und einschränkt. Sobald jeder sich dessen bewusstwird, ist es möglich diese zu brechen und auszusteigen. Das Werkzeug der Autosuggestion ist in jedem verankert und bietet die Chance aus belastenden Situationen auszusteigen.
Referenzen
Émile Coué (2013): Die Selbstbemeisterung durch bewusste Autosuggestion, überarbeitet und kommentiert von Andreas Nieswandt. Seitenangabe jeweils in Klammer.
>> Hier bei Spotify als Hörbuch in der Originalsprache
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